6. Oktober 2009
Und wieder vergreift sich ein Politiker…
… beim Griff in die Chengyu-Kiste. Ein Abgeordneter im taiwanesischen Parlament von der KMT namens Wu Ching-Chi (吳清池) wollte auf einer Pressekonferenz durch den Gebrauch eines Chengyu seine Bildung demonstrieren, und bei der Kritik des ungebührlichen Benehmens aus der Entourage seines Parteifreundes Präsident Ma Ying-jeou zum Ausdruck bringen, daß derlei Umstände schon länger bestanden haben müßten:
- 冰凍三尺、非一日之寒: bīngdòng sān chǐ, fēi yī rì zhī hán
Dieses Chengyu stammt aus dem 論衡 Lùnhéng des Philosophen der Hàn-Zeit, 王充 Wáng Chōng bedeutet soviel wie „Gefrorenes Eis drei Fuß dick, kommt nicht von einem Tag Kälte“, d.h. eine ungenehme Situation bricht nicht über Nacht hinein, sondern baut sich in der Regel über einen gewissen Zeitraum auf. Aber der gute Mann konnte sich nicht der klassisch-chinesischen Form dieses Chengyu entsinnen und probierte eine modernsprachliche Variante, bei der er aber ins Schleudern kam:
- 「一日之之…我想一日之寒,絕對不是一日的下雪…就能夠變成冰塊的。」“Ein Tag, Tag… ich denke, ein Tag Kälte, ist auf keinen Fall einen Tag Schnee…. das kann dann zu Eis werden!“
Ich muß zugeben, ganz klar ist mir nicht, was er eigentlich da sagt, die taiwanesische Presse bemerkt jedenfalls ganz lapidar, dass er bei dem Versuch, sich der richtigen Worte zu erinnern, eine neue modernsprachliche Redewendung erfunden habe.
Als er dann von den Hochgeschwindigkeitszügen sprach, wollte er die großen Schuldenlasten anprangern und das Chengyu 「債臺高築」 (zhàitái-gāozhù BJ/zhàitái-gāozhú TW) bedeutet wörtlich in etwa „eine Schulden(債)-plattform (臺) hoch (高) errichten (築)“ und bezieht sich auf eine Geschichte aus dem 漢書 Hànshū, in der sich der König von Zhou auf einer hoch errichteten Plattform vor seinen Gläubigern versteckte. Wu aber brachte hier die Reihenfolge durcheinander und sagte 「債築高臺」, also in etwa eine „mit Schulden eine hohe Plattform errichten“. Eine solche Verwechslung ist logisch gesehen gar nicht so abstrus und ein durchaus ein plausibler Flüchtigkeitsfehler. Aber da Wu sich schon beim Chengyu über die Eiseskälte vertan hatte, schenkte ihm die Presse natürlich auch noch bei diesem Fehler ein. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen…
Es gibt auch ein Video, auf dem Wus Fauxpas zu sehen sind, neben anderen Politikerversprechern, u.a. einem Abgeordneten, der Präsident Ma als „Expräsidenten“ bezeichnet.
Am Ende zeigt das Video zeigt noch einen weiteren Politiker, der Chengyu-Probleme hat:
- 書同文,車同軌: shū tóng wén, chē tóng guǐ.
In etwa „Bücher mit gleicher Schrift, Wagen mit gleicher Spannbreite“, dieses Chengyu bezieht sich auf die vielen Reformen, die der erste Kaiser in der Geschichte Chinas, 秦始皇帝 Qin Shi Huangdi nach der erfolgreichen Einigung Chinas durchführen ließ: die vielen verschieden im Reich verwandten Wagenspannbreiten und Schriftarten wurden vereinheitlicht. Der Abgeordnete, der dieses Chengyu anführen wollte, kam aber nur auf 學同文 xué tóng wén („die gleichen Zeichen lernen“), muß sich von der Regierungsbank eines Besseren belehren lassen, daß es 書同文 heißt und überdies, daß dies nur die Hälfte ist. 車同軌 versteht der so Belehrte nicht ganz und bekommt das dritte Zeichen noch beschrieben: 「車軌的軌,軌道的軌」 „軌 von 車軌 „Wagenspanne“, 軌 von 軌道 „(Fahr-)Bahn“.
(Herzlichen Dank an HYW für die Hinweise auf Artikel und Video!)
18. März 2009
Und diesmal der Bildungsminister…
ja, immer wieder verwenden Politiker Chengyu falsch. Sie stehen aber auch unter solchem Druck, sich als gebildet zu zeigen… Hier gibt es einen Bericht, der sich mit den Faux-pas des taiwanesischen Bildungsministers im Januar diesen Jahres beschäftigt. Wie bei Chen Shui-bian, vergriff sich der Minister im Ton, als er eine Organisation und diejenigen, die sich um diese verdient gemacht hatten, loben wollte.
- 亭亭玉立 tíngtíngyùlì (aus der Ming-Zeit): er wollte die Organisation, auf deren Jubiläumsveranstaltung er als Gastredner anwesend war, loben, daß sie sich in eine prächtige, attraktive Frau entwickelt hätte. Äh ja… das Wörterbuch sagt zwar, es könne auch auf Bäume angewendet werden, aber die Grundidee, die in dem Chengyu steckt, ist daß das damit Bezeichnete graziös, grazil und hochgewachsen ist.
- 始作俑者 shǐzuòyǒngzhě: dann bezeichnete er einen seiner Vorgänger als Bildungminister, der wohl bei der Gründung der Organisation Pate gestanden hatte, als „Vater des Erfolges“. Auf den ersten Blick erscheint das Chengyu auch in dieser Form anwendbar zu sein, aber leider stellt sich dies bei näherer Betrachtung als falsch heraus, denn dieses Wort stammt aus dem Werken des Mencius und bezeichnet den „Urvater allen Übels“: „始作俑者,其無後乎“. Oops…
Später noch verwechselte er 馬英九 und 連戰 und sprach von ehemaligen Vizepräsidenten Ma. Also kann es wohl keine bloße Chengyu-Schwäche gewesen sein. Das Wort hier für Faux-pas ist übrigens 烏龍 wūlóng, ein Fehltritt, ein unbeachsichtigter Fehler (und ja, mit denselben Zeichen wie der bekannte Tee).
17. März 2009
Die New York Times über chinesische Zensur und Sprachwitz
In der New York Times war letztens ein Bericht darüber, wie chinesische Blogger mit lustig gemachten Videos von sogenannten Grasschlammpferden die Geduld von den chinesischen Zensoren auf die Probe stellen. Der Hintergrund des ganzen ist dabei, daß „Grasschlammpferd“ so ähnlich klingt wie ein unanständiger Ausdruck. Das Video enthält noch einen weiteren solchen Ausdruck, den Namen der besagten Wüste, in der die Grasschlammpferde, die verdächtig wie Alpakas aussehen, grasen. Außerdem natürlich die Flußkrebse, von denen sie bedroht sind, deren Name klingt so ählich wie das Wort „Harmonie“, in deren Namen die Zensur durchgeführt wird. Die New York Times erklärt dies alles, ohne die schmutzigen Wörter beim Namen zu nehmen, und ich schließe mich der ehrwürdigen Grauen Dame mal an. Nicht daß man das nicht leicht ergooglen könnte…. Ich gebe hier jedoch auch ein Video zum besten, das ich besonders süß fand, und werde unten ein paar Vokabeln (mit Ausnahme der doppeldeutigen natürlich) aufführen.
13. März 2009
罄竹難書 Qìngzhúnánshū
Eines meiner Chengyu-Lehrbücher hat eine Anekdote davon, wie sich Politiker durch die falsche Verwendung von Chengyu zum Narren machen können. Der ehemalige Präsident von Taiwan, der jetzt kürzlich in Ungnade gefallene Chen Shui-bian, nahm 2006 an einer Freiwilligenaktion teil, bei der er die anwesenden freiwilligen Helfer loben wollte, daß deren Arbeit 罄竹難書 qìngzhúnánshū sei. Er wollte damit ausdrücken, daß der gesellschaftliche Beitrag, den Freiwillige leisten, enorm sei, löste durch seine Wortwahl aber eine sprachliche Kontroverse aus. Sehen wir uns das Chengyu genauer an: 罄 qìng: erschöpfen; 竹 zhú: Bambus, hier zum Schreiben verwendete Bambusstreifen; 難 nán: schwierig; 書 shū: schreiben, in etwa also „selbst wenn man alle Bambusstreifen verwendet, reicht dies zum Schreiben nicht aus“. Chen wollte damit ausdrücken, daß die Leistungen der Freiwilligen so unbeschreiblich groß waren. Allerdings wurde von Sprachkritikern darauf hingewiesen, daß dieses Chengyu aus der Tang-Zeit aus einem Kontext stammt, in denen es um Straftaten eines Kriminellen geht, die so zahlreich waren, daß man alle Bambusstreifen vollschreiben könnte und dennoch nicht fertig würde… Es gibt ja im Deutschen eine sehr ähnliche Redewendung „das geht auf keine Kuhhaut“, das ja auch nur für negative Leistungen verwendet werden kann. Laut Wikipedia soll dies aus der Antike stammen:
Das geht auf keine Kuhhaut — Übertreibender Ausdruck (Hyperbel) der Empörung, der besagen will, dass über eine bestimmte Sache oder Person so viel Empörendes zu berichten wäre, dass zur Niederschrift nicht einmal eine Kuhhaut ausreichen würde. Pergament wird aus den Häuten von Schafen hergestellt, „Kuhhaut“ bezeichnet insofern ein zwar nicht real übliches, aber als besonders groß vorzustellendes Beschreibmaterial. Eine andere Erklärung besagt, dass die Redensart auf die Gründung der Stadt Karthago zurückgeht, als die Königin Dido sich soviel Land erbat, wie sie mit einer Kuhhaut umschließen konnte. Nachdem sie die Zusage hatte, zerschnitt sie die Haut in dünne Streifen, die aneinandergelegt ein riesiges Gebiet umschlossen.
Was die Lehrbuchschreiber mit ihrer Anekdote sagen wollen ist, daß bei der Verwendung von Chengyu auch die Konnotation wichtig ist und geben dann auf den folgenden Seiten eine lange Liste von Chengyu mit jeweils positiver, negativer und neutraler Konnotation für verschiedene Situationen.
Als Beispiel werden z.B. 標新立異 biāoxīnlìyì und 獨樹一幟 dúshùyīzhì genannt. Beiden ist gemein, daß sie eine Situation bezeichnen, in der man eine neue Perspektive verfolgt. Ersteres hat aber insofern eine negative Konnotation, daß dies mit der Absicht geschieht, sich von der Masse abzuheben. Letzteres hat eine positive Konnotation, da dies beinhaltet, daß es sich um einen originellen Standpunkt handelt, anhand dessen man z.B. eine neue Denkschule oder Tradition begründen kann (自成一家 zìchéngyījiā).
3. März 2009
Hillary Clinton und 成語
Im Vorfeld und während Hillary Clintons Staatsbesuchs in China hat sie nicht nur ihre Liebe zu chinesischen Redewendungen bekannt, sondern auch welche (natürlich auf englisch) in ihre Rede eingepflochten. Laut der amerikanischen Presse kam es sogar zu einer Art 成語-Duell mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao. Hier sind die Ausdrücke, die Hillary Clinton und Wen Jiabao verwendeten (s. weitere chinesischsprachige Presseartikel):
- 同舟共濟 tóngzhōugòngjì: Dies ist das in der Presse am häufigsten wiedergegebene 成語 und bedeutet „im selben Boot übersetzen, d.h. in einer schwierigen Situation zusammenarbeiten, oder wie der amerikanische Zeitungsartikel übersetzt, when on a common boat, cross the river peacefully together“ (im amerikanischen Zeitungsartikel ist es im übrigen falsch als tóngchuángòngjì wiedergegeben, eine Verwechslung von „Boot“ 舟 und „Schiff“ 船). Dieser Ausdruck stammt aus Sunzis Kriegskunst und bezieht sich auf eine Situation im alten China, wo sich Kämpfer aus den beiden verfeindeten Staaten Yue und Wu bei starkem Sturm im selben Boot wiederfanden, und beschlossen, ihre Feindseligkeiten ruhenzulassen und gemeinsam den Fluß zu überqueren. Später wurden die Feindseligkeiten jedoch wieder aufgenommen wurden und Wu später durch Yue vernichtet wurde. Aufgrund dessen sagen einige Historiker, daß die Verwendung dieses 成語 unpassend gewesen sei, worauf ich später noch zurückkommen werde.
- 如左右手 rúzuŏyòushŏu: „wie linke und rechte Hand“. Dies wird im amerikanischen Zeitungsartikel nicht erwähnt, wohl aber in einigen chinesischen Medien, und ist eine Erweiterung zum obenstehenden. Es ist nicht ganz klar, ob dies von Clinton oder Wen gesagt wurde. In der Stelle von Sunzis Werk, in dem von Überqueren des Flusses die Rede ist, tritt auch dieser Ausdruck auf (laut Wörterbuch):
„夫吴人与越人相恶也,当其同舟而济,遇风,其相救也如左右手。“ (Übersetzung in etwa: „Die Leute von Wu und Yue haßten einander, aber als sie im selben Boot den Fluß überquerten, und ein Sturm aufzog, halfen sie einander wie rechte und linke Hand“). - 攜手共進 xiéshŏugòngjìn „gemeinsam voranschreiten“. Dies fügte der Ministerpräsident im Zusammenhang auf das Sunzi-Zitat zu sein. Es ist aber, anders als vom amerikanischen Zeitungsartikel behauptet, kein 成語, sondern eine feste Fügung, die nicht historisch belegt ist, aber natürlich gut in den Kontext paßt. Es handelte sich daher also nicht um ein 成語-Duell, bei dem Hillary Clinton nur hätte verlieren können, sondern um eine passende Ergänzung ihres gewählten Bildes, das sozusagen klarmacht, daß China und Amerika auch nach der Überquerung gemeinsam voranschreiten mögen, anders als das historische Vorbild.
- Ein anderer Ausdruck, den Clinton bei einer Rede verwendete, war 臨渴掘井 línkĕjuéjĭng „in Angesicht des Durstes einen Brunnen graben“, was sie im Sinne verwendete, daß China und Amerika bei den Klimawandelmaßnahmen zusammenarbeiten müßten. Laut Wörterbuch stammt dieser Ausdruck aus den Huangdi-Legenden und scheint ein wenig schief zu sein, denn es beinhaltet auch die Vorstellung, auf eine bestimmte Situation nicht vorbereitet zu sein, d.h. erst einen Brunnen zu graben, wenn man durstig ist.
War also das erste 成語 von Hillary Clinton unpassend, da es sich auf eine Kriegssituation zwischen zwei Todfeinden bezieht? Ich behaupte nein, denn selbst wenn dieses 成語 einen solchen geschichtlichen Hintergrund haben mag, kommt es ja nun darauf an, wie es als sprachlicher Ausdrck interpretiert wird. Und in diesem Fall liegt der Nachdruck nicht auf dem Krieg zwischen den beiden Staaten, sondern darin, daß zwei Gruppen, die sich einander nicht riechen können, in der Stunde der Not zusammenraufen und an einem Strang ziehen. Es stimmt andererseits auch, daß China und Amerika in der Klimapolitik in der Vergangenheit ihre Differenzen hatten und nun die neue amerikanische Regierung angesichts der Klima-Widrigkeiten, den alle Staaten auf der Erde ins Auge sehen müssen, die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht verbessern möchte, da sie die Notwendigkeit dazu sieht. So scheint es auch der chinesische Ministerpräsident verstanden zu haben, sonst wäre er ja wohl kaum auf das Clinton-Wort eingegangen und hätte es noch ergänzt, sondern hätte es sicherlich mit eisigem Schweigen bedacht.
Nun könnte man dasselbe auf meinen Einwand entgegnen, daß auch beim zweiten 成語, „angesichts des Durstes einen Brunnen zu graben“, nicht alles übereinstimmen muß. Meiner Meinung hängt es nicht nur daran, daß eine Konnotation des Unvorbereitetseins mitenthalten ist, sondern auch daran, daß es anders als der erste Ausdruck keine Situation bezeichnet, in denen zwei Seiten einander beistehen, der Aspekt der Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit fehlt und wurde von Clinton hineingebracht. Und der chinesische Ministerpräsident ging nicht darauf ein. Dieser Ausdruck wird seltener gebraucht, aber es gibt ein sehr ähnliches 成語, das um einiges bekannter ist: 臨陣磨槍 línzhènmóqiāng „angesichts der Schlacht die Waffen polieren“, also Vorbereitungen erst in letzter Minute treffen.